Interview mit Dr. Marlene Willkomm

ExpertInnenaustausche Santa Leopoldina und Manaus, Brasilien

Die Internationale Städteplattform Connective Cities organisierte in Kooperation mit dem Sekretariat für die Internationale Strategie zur Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen (UN-ISDR) vom 27. bis 29. Oktober sowie vom 25. bis 27. November 2015 zwei Expertenaustausche zum Thema „Resilienz: Aufbau und Entwicklung von Kompetenzen“ zwischen Curitiba, Manaus und Santa Leopoldina aus Brasilien sowie Vertretern der Hochwasserschutzzentrale der Stadtentwässerungsbetriebe Köln.

Diese Treffen sind eine Fortsetzung der von Connective Cities organisierten Dialoge in Köln und Curitiba zu Hochwassermanagement sowie zu Risiko- und Vulnerabilitätsanalysen in der Planung von örtlichen Hochwasserschutzmaßnamen. Im Mittelpunkt dieser Dialogveranstaltungen stand ein intensiver Austausch durch kollegiale Beratung, Fachvorträge und Feldbesuche. Insbesondere wurden Themen wie das Hochwasserrisikomanagement, die Entwicklung von Infrastrukturprojekten zur Risikominderung, die Verbesserung der Hochwasserrisikoanalyse sowie der Warnalarmsysteme gemeinsam diskutiert.
Teilnehmer der Zivilschutzämter aus Manaus, Curitiba, Santa Leopoldina und der Stadtentwässerungsbetriebe aus Köln haben im Rahmen der Veranstaltungen das Konzept für einen vertiefenden Expertenaustausch zum Thema Resilienz erarbeitet.

Im Anschluss an den Expertenaustausch in Manaus berichtete Frau Dr. Marlene Willkomm, stellvertretende Leiterin der Hochwasserschutzzentrale der Stadtentwässerungsbetriebe Köln (StEB) im Gespräch mit Connective Cities von ihren Erfahrungen und Eindrücken, die sie während des Austausches sammeln konnte.

Q: Was waren Ihre Gründe für die Teilnahme am Expertenaustausch?

A: Ein solcher Austausch ist wichtig, nicht nur national, sondern auch international, um zu sehen, wo wir fachlich stehen, was andere machen, was andere vielleicht auch besser machen und was wir von anderen lernen und selber umsetzen können. Es ist egal, wo man lebt, wir haben alle dieselben Herausforderungen, wie zum Beispiel geringe finanzielle Ressourcen oder mangelnde Sensibilisierung für Fragen des Hochwasserschutzes sowohl bei den Bürgern als auch in Politik und Verwaltung.

Q: Was haben Sie durch den Expertenaustausch gelernt? Was nehmen Sie an Ideen und Lösungsansätzen mit?

A: Was ich mitnehme ist, dass die brasilianischen Kollegen in vielen Bereichen des Hochwasserschutzes lokal sehr weit ist. Die Stadt Manaus hat beispielsweise einen Kümmerer, das ist eine Person, die u. a. permanent sensibilisiert, Kontakte knüpft und aufzeigt, dass Katastrophenschutz sehr wichtig ist. Wir als StEB fungieren auch als Kümmerer. Wenn die Stadtverwaltung etwas plant, ist immer auch die StEB gefragt, eine Einschätzung bezüglich Hochwasser oder Starkregen zu geben. Das funktioniert sehr gut, ist jedoch oft ein langfristiger Prozess, bis die Einbeziehung in Planungs- und Abstimmungsprozesse systematisch erfolgt.
Was mich auch beeindruckt hat, war die gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit der Bevölkerung in Manaus. Entscheidungen werden gemeinsam mit den Bürgern getroffen, da erkannt wurde, dass die Unterstützung der Bevölkerung für Projekte essenziell ist, damit diese Projekte langfristig funktionieren. Besonders junge Leute werden dabei involviert.
Mir hat der Austausch gezeigt, dass es zwar noch viele Herausforderungen in Brasilien im Bereich Hochwasserschutzmanagement gibt, aber es war schön zu sehen, wie weit beispielsweise Manaus bereits ist.

Q: Haben Sie die während des Austausches gesammelten Ideen bereits in Köln umgesetzt oder planen Sie etwas umzusetzen?

A: Es ist eher so, dass in Manaus viel gemacht wird, was wir in Köln auch bereits machen. Ich würde schätzen, dass Deutschland Brasilien im Hinblick auf Hochwasserschutz etwa um 20 Jahre voraus ist.
Wir von der StEB haben aber durch die Veranstaltungen neue Impulse bekommen, um etwa die Bevölkerung vermehrt einzubinden und zu sensibilisieren. Eine solche Sensibilisierung ist in Deutschland schwieriger zu erreichen als in Manaus, das ständig von verschiedenen Katastrophen betroffen ist. Wir haben das „Problem“, dass Hochwasser kein regelmäßig wiederkehrendes Ereignis ist. Das richtige Verhalten bei Hochwasser oder Erdbeben wird in Deutschland nicht regelmäßig eingeübt. Wir von der StEB führen aber regelmäßig Kampagnen und Aktionen mit Bürgerinitiativen durch und bieten hochwasserspezifisch kostenlose Führungen an. In Köln gibt es außerdem das Wasserforum, das hat eine Wasserschule, die „Villa Öki“, die von vielen Schulklassen besucht wird. Dort lernen die Schüler den ganzen Wasserkreislauf kennen, nicht nur Hochwasser, sondern auch Abwasser, Regen etc.

Q: Was haben die anderen Teilnehmer durch den Expertenaustausch lernen können?

A: Wir hatten wirklich einen sehr guten Austausch, zum Beispiel zum Thema Risikokarten. Manaus und Köln nutzen dasselbe Kartenwerk. Solche Risikokarten sind essenziell, man muss erstmal alle Risiken oder Gefahren identifizieren und ermitteln, wie stark man an welcher Stelle betroffen ist.
Ein weiteres Thema war die illegale Bebauung in Risikogebieten. Derzeit wird in Manaus mit einem ökologischen, ökonomischen und sozialen Ansatz versucht, die Bewohner solcher Risikogebiete fortzubilden, dabei liegt der Fokus auf der Bildung von Frauen und Kindern. Es geht unter anderem darum, das Bewusstsein der Bevölkerung für die Entsorgung von Müll oder den Umgang mit Abwässern zu stärken. Viele der Bewohner sind es gewohnt, ihre Abfälle im Fluss zu entsorgen und dass der Fluss diese wegträgt. Das kann aber in einer Millionenstadt wie Manaus nicht dauerhaft funktionieren.

Q: Gab es noch weitere Projekte, die von den anderen Teilnehmern vorgestellt wurden?

A: Es wurden vielfältige Projekte und Ansätze vorgestellt. In Manaus wird zum Beispiel versucht, die Menschen zu überzeugen, nicht zu nah am Fluss und damit im Risikogebiet zu bauen. Eine Maßnahme des Projekts bestand darin, direkt am Fluss Felder anzulegen und so die illegale Bebauung aufzuhalten. So wird gleichzeitig eine Einkommensquelle für die Bevölkerung geschaffen. In einem Viertel, das wir besucht haben, können davon bereits vier Familien leben. Es werden auch Parkanlagen, Fußballplätze oder Laufstrecken direkt am Fluss eingerichtet. Die müssen natürlich unterhalten werden, aber die Gemeinschaft im jeweiligen Viertel übernimmt das in Eigenregie und so sind die Anlagen teilweise schon autark. Wir haben auch gesehen, dass sich sofort wieder Menschen ansiedeln, wenn Häuser nur abgerissen werden und nichts Neues errichtet wird.
Ein weiteres Projekt in Manaus zielt darauf ab, die Bewohner dazu zu bewegen, ihre in direkter Nähe zum Fluss gebauten Hütten aufzugeben und umzuziehen. Dafür bekommen sie umsonst eine neue Wohnung in einem risikoärmeren Gebiet von der Stadt zur Verfügung gestellt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, in eine Wohnung in sicherem Gebiet zu ziehen und dann von der Stadt finanzielle Mietunterstützung zu erhalten. Durch diese Projekte sollen verschiedene Anreize geschaffen werden, damit die Menschen nicht länger so nah am Fluss leben und nicht mehr dem Hochwasserrisiko ausgesetzt sind.
Weiterhin gibt es in Manaus das Konzept der Nothütten. Wenn die Häuser der Bevölkerung durch Hochwasser oder Hangabrutsche zerstört werden, werden durch vor allem freiwillige Helfer diese Nothütten errichtet. Die Nothütten sind schon fast fertig vorbereitet: Das Holz ist bereits zugeschnitten, Nägel sind vorhanden. So können diese im Notfall innerhalb von einem Tag aufgebaut werden. Die Leute ziehen dann in diese provisorischen Hütten ein, oft bleiben sie dort auch langfristig wohnen. Der größte Teil der Finanzierung solcher Projekte kommt von der interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB).
Ich hatte das Gefühl, dass die anderen brasilianischen Teilnehmer sehr viel mitnehmen und von Manaus lernen konnten.

Q: Wurden durch den Expertenaustausch und Ihre Beratung Projekte in Manaus oder Santa Leopoldina umgesetzt?
 
A: Alle Teilnehmer haben viele Ideen aufgenommen und versuchen diese jetzt umzusetzen. Santa Leopoldina versucht derzeit beispielsweise über verschiedene Konzepte die Leute zu sensibilisieren und ihnen bewusst zu machen, dass sie Katastrophenschutz und insbesondere Hochwasserschutz in ihrer Kommune brauchen.

Q: Was hat sie während des Expertenaustausches überrascht?

A: Was mich insgesamt überrascht hat, war, wie gut der Katastrophenschutz dort bereits aufgestellt ist und die Vielzahl an Projekten, die durchgeführt werden.

Q: Würden Sie den Expertenaustausch weiter empfehlen?
 
A: Ja, auf jeden Fall. Es ist so, dass Köln in diesem Bereich gut aufgestellt ist. Wir von der StEB stellen gerne unser Wissen deutschland- und weltweit im Rahmen solcher beratender Tätigkeiten zur Verfügung. Im Gegenzug wird hier im Haus derzeit überlegt, ob wir nicht auch Fragen haben, bei denen wir um Input anderer bitten könnten.

Vielen Dank für das Gespräch.

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