Seth Asare Okyere, Hochschuldozent für Stadtplanung, zeichnet ein persönliches Bild von der idealen Stadtentwicklung für Afrika. Publiziert in GIZ-Akzente
Im Oktober 2014 besuchte ich Dontobori, Osakas beliebten Hotspot. Geradezu ein Meer von Menschen: Massen trabten in entgegengesetzte Richtungen, Körper schlängelten sich eng aneinander vorbei, Läden, Restaurants, Anime-Center wechselten sich ab. Gleich dahinter waren schnelle Fahrzeuge auf belebten Schnellstraßen unterwegs, der benachbarte Kanal war voller Ausflugsboote mit Touristen; all das wurde überragt von Bürohochhäusern aus Beton und Glas, und unter den Füßen spürte man das Vibrieren der vollen U-Bahnen. Überall floss und strömte es, selbst die statischen Gebäude schienen in ständiger Bewegung zu sein. Das ist Osaka – eine japanische Großstadt mit fast drei Millionen Einwohnern und eine Metropolregion mit nahezu 19 Millionen. So sieht ausgereifte Urbanität aus: überfüllt, aber organisiert; exzessiv, aber kontrolliert. Osaka ist in Bewegung, und das schon seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg.
In jüngster Zeit findet dieses Muster der Urbanisierung anderswo neue Reviere, nicht zuletzt in Afrika, allerdings in anderer Form und in anderem Tempo. Auch afrikanische Städte sind im Umbruch, doch der beginnt gerade erst. Zwar gilt der Kontinent nach wie vor als vorwiegend ländlich (57 Prozent der Menschen leben im ländlichen Raum), das städtische Bevölkerungswachstum war in den Jahrzehnten von 1950 bis 1990 jedoch weltweit das höchste (vier Prozent) und soll bis 2040 bei über drei Prozent bleiben. In absoluten Zahlen ist die Stadtbevölkerung in der Zeit von 33 Millionen auf 548 Millionen gewachsen und macht jetzt 13 Prozent der weltweiten Stadtpopulation aus.
In allen Städten, die ich kenne, hat sich gezeigt, dass Stadtplanung immer am meisten erreicht, wenn sie von gewöhnlichen Bürgern, lokalen Behörden, Politikern, Akteuren der Zivilgesellschaft, freien Trägern und Universitäten gemeinsam erarbeitet wird. Weil dann die tatsächlichen Lebensbedingungen und Wünsche der Mehrheit im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Das bedeutet aber auch, dass die Vertreter lokaler Behörden die Ärmel hochkrempeln und sich die Finger schmutzig machen müssen. Sie sollten den Kontakt mit den Menschen suchen, um deren Lebenswirklichkeit zu begreifen. Sie fragen, wo der Schuh drückt, und sie an der Suche nach Lösungen beteiligen. Letztlich geht es um nichts weniger als eine fundamentale Demokratisierung der Stadtplanung.
Nehmen wir Accra: Früher kaum mehr als eine Ansammlung von einheimischen Fischerdörfern, ist die Stadt ungeheuer gewachsen, seit die britische Kolonialregierung sie im Jahr 1877 zur Hauptstadt der damaligen „Goldküste“ (heute Ghana) erklärte. Zwischen 1960 und 2010 schwoll sie von 389.000 Einwohnern auf 1,9 Millionen an, die gesamte Metropolregion umfasst vier Millionen Menschen. Und diese Veränderung ist überall spürbar. Bei wiederholten Besuchen in den letzten Jahren konnte ich beobachten, wie das quirlige Treiben im Stadtzentrum, die lebendigen Märkte mit ihrer Geschäftigkeit, die alltäglichen Konflikte zwischen Autos und Straßenhandel um den begrenzten Straßenraum Accras Wachstum symbolisch abbilden. Das kosmopolitische Flair der Stadt, die vielen verschiedenen Sprachen in Geschäften, Familien und im Freundeskreis, das Zusammentreffen von Einheimischen und Ausländern, von Verdichtung und Ausdehnung sind deutlich spürbar. Accra ist im Umbruch.
Doch anders als in asiatischen Städten wie Osaka oder Singapur ist das Wachstum hier nicht von Wirtschaftskraft oder Industrialisierung getrieben. Tatsächlich nahm die Verstädterung in den Ländern Subsahara-Afrikas zwischen 1970 und 2000 zu, während die Wirtschaft der meisten dieser Länder gleichzeitig schrumpfte. Sicher ist, dass die Urbanisierung in den nächsten zwei Jahrzehnten weitergehen wird. Aber noch ist ungewiss, ob sich Afrikas Städte dabei zu gut verwalteten Lebenswelten entwickeln werden, in denen die Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung im Vordergrund stehen (Agilität). Oder ob sich schlechtes Management durchsetzt und das Wohl der Bürger ignoriert (Fragilität). Im Augenblick gibt es beides nebeneinander.
Jedes Jahr ziehen mehr als zehn Millionen Menschen in afrikanische Städte, vor allem in Klein- und Mittelstädte. Doch verläuft die Verstädterung eher expansiv als verdichtend. Berechnungen zufolge wird der Flächenverbrauch durch Besiedlung zwischen 2000 und 2030 um 600 Prozent zunehmen. Der größte Teil dieses Wachstums vollzieht sich an den Rändern der Städte, wo Wohlhabende die mangelhafte Stadtplanung dazu nutzen, sich in abgeschlossenen Welten niederzulassen, fernab von allem Düsteren und Trostlosen.
Als ich vor drei Jahren am nördlichen Stadtrand von Accra entlangging, erschrak ich beim Anblick dieser neuen Stadthäuser und Wohnungen, die in den Randgebieten aus dem Boden sprossen. Das üppige Grün, die landwirtschaftlich genutzten Flächen und Brachen von früher waren Betonwüsten ohne Form und räumliche Logik gewichen. Ich fragte mich unweigerlich: Wo sind all die stadtnahen Landwirte hin? Was ist mit den riesigen Grünflächen geschehen, die sich an den Grenzen der Metropole ausdehnten? Stattdessen schießen an vielen Stellen ungeplante und ungeregelte Bauprojekte empor.
Stadtentwicklung in Afrika erschöpft sich weitgehend darin, öffentlichen Boden zu privatisieren und gewöhnliche Bürger zu verdrängen. Immer weniger Einheimische haben Zugang zu Grund und Boden, ökologische Ressourcen im städtischen Umland gehen in bedrohlichem Tempo verloren. Diese Praxis ist alles andere als nachhaltig. Und gerade jetzt, da die Folgen des Klimawandels überall ganz oben auf der Tagesordnung stehen, kann man diese Art des städtischen Wachstums kaum gutheißen. Sie schafft eine unsichere, eine fragile Zukunft.
Doch das ist nicht alles. Überall fehlen öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur, überall sieht man Umweltverschmutzung, Verbrechen und Verkehrsprobleme. Es ist kein Geheimnis, dass städtisches Wachstum intensive Betriebsamkeit mit sich bringt: Menschen auf dem Weg zur Arbeit, nach Hause und zu allen möglichen Zielen dazwischen. Da die Urbanisierung Afrikas schneller voranschreitet als die Entwicklungsplanung, landen die meisten Neuankömmlinge in sogenannten informellen Siedlungen. Doch solche Hüttenviertel liegen oft in Gegenden, in denen es an allem mangelt, in denen man nicht mit ausreichender Infrastruktur, dafür aber mit umso größeren Risiken rechnen muss.
Es überrascht nicht, dass mehr als 60 Prozent der städtischen Bevölkerung Afrikas in solchen Vierteln leben. Im Stadtzentrum von Accra sind derartige Siedlungen überall sichtbar, denn sie beherbergen ein Drittel der Einwohner. In Old Fadama zum Beispiel haben die Menschen kaum Zugang zu Toiletten, Frischwasser und angemessenem Wohnraum. Seit Jahren sind provisorische Hütten aus Wellblech, verstopfte Abflussleitungen und überfüllte Unterkünfte ein alltäglicher Anblick. Hier lässt sich die urbane Verelendung nicht verbergen. Im Jahr 2015 zerstörten auch noch Überflutungen einen großen Teil des Viertels, kosteten 150 Menschen ihr Leben und schwemmten Lebensgrundlagen fort. Auch gefährliche Großbrände brechen hier häufig aus.
Doch nicht alles ist düster. Afrikas Stadtbewohner schauen nicht tatenlos zu, wie ihre Stadtviertel verelenden. Innerhalb des sogenannten fragilen Lebens entstehen neue kollektive Gewohnheiten und gemeinschaftliche Aktivitäten (Agilität). Angesichts der täglichen Herausforderungen ist es für die Bewohner auch eine Frage des Überlebens, vor Ort zusammenzuarbeiten und aus nichts etwas zu machen.
Von Kibera (Nairobi, Kenia) bis Agbogbloshie (Accra, Ghana) – überall in den Slums haben sich gemeinsam genutzte Infrastruktur, Allianzen zum Katastrophenschutz und Kooperationen zum Bau erschwinglichen Wohnraums gebildet. Armenverbände erstellen mit Hilfe der lokalen Bevölkerung Karten und führen Zählungen durch, um staatliche Mängel anzuprangern und zu überwinden. Kommunal organisierte Spar- und Darlehenskassen mobilisieren Geld, um die Wohnsituation zu verbessern. In manchen Fällen setzen sich sogar Nichtregierungsorganisationen, Slumbewohner, Experten und Vertreter der lokalen Verwaltung an einen Tisch, um die Probleme des Viertels anzugehen. Solche positiven Initiativen geben einen Vorgeschmack darauf, wie die afrikanische Stadt der Zukunft aussehen könnte.
Während eines Forschungsaufenthalts in einer informellen Siedlung in Accra sagte jemand zu mir: „Wir gehen Probleme an, wir verändern Dinge; wir schaffen die Art von Gemeinschaft, die wir haben wollen.“ Die Bewohner dieses Viertels ergeben sich nicht dem Elend. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie lokale Behörden mit traditionellen Führern an einem Strang gezogen haben, um den Zustand der Häuser zu verbessern, Kanalisation einzurichten, Gemeinschaftstoiletten zu bauen und örtliche Handwerker für die Wartung der Einrichtungen zu gewinnen. Der Nutzen solcher Initiativen ist kaum zu überschätzen. Sie zu fördern, kann eine agile Stadtentwicklung auf dem Kontinent anstoßen. Allerdings entsprechen staatliche Förderprogramme solchen Kriterien häufig nicht, wie die vielgelobten „Smart City“-Initiativen zeigen.
Diese neue Form des Stadtmarketings ist vielerorts kaum zu übersehen. Die Werbetafeln für Entwicklungsprojekte sind gut sichtbar angebracht, ansprechend gestaltet und an strategischen Punkten zahlreicher afrikanischer Städte platziert. Man bewirbt sie als Vision von der wahren afrikanischen Stadt. Sie zeigen intelligente Entwicklungspläne, mit gepflegten Grünflächen durchsetzt, mit majestätischen Eigenheimen und modernen technischen Lösungen. Als wäre ein Stück Singapur oder Dubai nach Afrika verpflanzt worden.
Eine Koalition aus staatlichen Stellen und privaten Investoren (heimischen wie internationalen) treibt sie als „neuartige“ Antwort auf ungelöste urbane Fragen aggressiv voran. Sie werden zu afrikanischen Musterstädten der Zukunft erklärt: ohne Slums, smart, ganzheitlich ökologisch, technisch innovativ, auf Nachhaltigkeit ausgerichtet und effizient verwaltet. Oft werden sie auf dem Reißbrett geplant und von globalen Kapitalgebern finanziert, die in den wachsenden Städten Afrikas gute Profitmöglichkeiten sehen.
Bisher lassen sich in Afrika etwa 70 solcher bereits existierender oder geplanter „Smart Cities“ zählen, darunter Appolonia City (Accra), Eko Atlantic (Lagos, Nigeria), La Cité du Fleuve (Kinshasa, DR Kongo), Roma Park (Lusaka, Sambia), Industriestadt Al-Tajamouat (Kairo, Ägypten) und Sipopo (Malabo, Äquatorialguinea). Die tatsächlichen Projekte sprechen dann allerdings eher die Träume der Oberschicht an als die Bedürfnisse der armen Bevölkerungsmehrheit.
Oft sind es abgeschlossene Wohnanlagen mit Häusern in ähnlichem Design. Sicherheit, Instandhaltung und Ordnung sind hier wichtig, um die Viertel vom Rest einer Stadt abzugrenzen. Leider vertreiben diese neuen Siedlungen entweder arme Bewohner von ihrem Land und ihren Einnahmequellen oder sie nehmen ihnen wegen des Preisauftriebs jede Aussicht auf erschwinglichen Wohnraum. Es ist paradox, dass diese neuen Modellsiedlungen für wenige Privilegierte „smart“ sind, während etwa in Accra zugleich mehr als 70 Stadtviertel als Slums gelten.
Die Zukunft der rasch wachsenden Städte Afrikas ist mithin wie eine umkämpfte Straße: getrennte, bedrohte und unterversorgte Gemeinschaften (fragil) auf der einen Seite; lokale partnerschaftliche Initiativen (agil) auf der anderen. Die nächsten Jahre werden darüber entscheiden, welche Seite gewinnt, ob Fragilität oder Agilität überwiegt. Ich bin überzeugt, dass sich (schnelle) Urbanisierung auch so organisieren lässt, dass sie der städtischen Mehrheitsgesellschaft nützt. Aber dann muss sie auf den Menschen bauen, vor allem auf die so oft ignorierte Mehrheit der Bevölkerung. Neue „Smart Cities“ werden nicht viel verändern, solange die alten Viertel in Mangel und Elend versinken. Genauso wenig werden unkoordinierte politische Maßnahmen von oben oder vereinzelte Aktivitäten von unten viel ausrichten.
Zweitens braucht es nachhaltige Finanzierungen, um Investitionen in Infrastruktur und Dienstleistungen zu ermöglichen. Dafür müssen die Behörden ausländische Investitionen in Stadtentwicklungsprojekte, die derzeit exponentiell wachsen, unter Kontrolle bringen und in die richtigen Bahnen lenken. Auf lokaler Ebene bieten sich hierfür Mischfinanzierungen an – kommunale Mittel gepaart mit sozialverträglichen Investitionen privater Geldgeber. Außerdem sollten die lokalen Verwaltungen konsequent Steuern und Abgaben auf Grundbesitz und Immobilien erheben und eintreiben. Es versteht sich von selbst, dass diese Mehreinnahmen dazu dienen sollten, die Probleme der benachteiligten urbanen Mehrheit zu lösen.
Drittens stellt sich die Frage, wer die afrikanischen Städte der Zukunft planen soll. Es fehlen offiziell zugelassene Stadtplaner; in Uganda zum Beispiel gibt es pro 463.102 Einwohner einen. Dieser Mangel muss behoben werden, indem man in die entsprechenden Studiengänge investiert, und zwar in die Infrastruktur, in Lehrpläne, und indem man sie „indigenisiert“, also den Realitäten afrikanischer Urbanisierung anpasst. Und viertens sind Schutzrechte gegen den Landraub der Eliten notwendig.
Kurz gesagt, stelle ich mir die zukünftige afrikanische Stadt so vor, dass sie zum Wohl ihrer Bevölkerung plant und handelt, vor allem zum Wohl ihrer ärmsten und verletzlichsten Mitbürger. Ein Accra zum Beispiel, wo Wachstum nicht Chaos bedeutet, Verdichtung nicht Verwirrung. Eine Stadt, wo der Verkehr mit Hilfe von Schnellbussen und Stadtbahnen wohlorganisiert fließt; wo bezahlbarer Wohnraum gefördert und in Zusammenarbeit von Bürgern und Regierung errichtet wird; wo angemessene Infrastruktur zur Verfügung steht; wo lokale Initiativen nicht ignoriert, sondern unterstützt werden. Eine Stadt, wo Grünflächen und Feuchtgebiete wieder zum Leben erweckt werden. Eine Stadt, in der Träume wahr werden, in der die Bedürfnisse der Mehrheit die Zukunft bestimmen und nicht die Interessen weniger. Und vielleicht am wichtigsten: Es braucht einen Perspektivwechsel weg von hochtrabenden Visionen hin zur urbanen Realität. Damit die schöne afrikanische Stadt, die es bisher nicht gab, endlich geboren wird.