Rückblicke

01.12.2021

Kommunales Abfallmanagement in Zeiten von Covid-19

Rückblick auf den virtuellen Connective Cities Response Dialogs am 9. und 11. November 2021

Foto: Graphic Recording by Florence Dailleux / Thinkpen

Die Covid-19-Pandemie hat im kommunalen Abfallmanagement weltweit deutliche Spuren hinterlassen. Während der Lockdowns sind die Müllmengen der Privathaushalte gestiegen, die gewerblichen Abfälle sind zurückgegangen. Bei der Sammlung und dem Sortieren von Abfällen – eine Dienstleistung, die trotz erschwerter Pandemiebedingungen überall weiter funktionieren muss – sind strenge Hygienemaßnahmen erforderlich und viele kommunale Abfallunternehmen waren nicht auf eine digitale Arbeitsweise vorbereitet und sind teilweise auch finanziell unter Druck geraten. Langfristig zeigt die Pandemie auf, dass ein Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft als nachhaltiges Konzept unabdingbar ist.

Diese und andere Themen standen auf der Agenda des Connective Cities Response Dialogs zum kommunalen Abfallmanagement in Zeiten von Covid-19. Über 20 Teilnehmende aus sieben Ländern tauschten sich am 9. und 11. November virtuell über ihre Erfahrungen aus und berieten sich gegenseitig, wie die aktuellen Herausforderungen im kommunalen Abfallmanagement am besten zu lösen sind und wie Lernerfahrungen aus der Krise auch langfristig in den Betriebsablauf übernommen werden können.

2. Das Abfallmanagement muss nachhaltiger werden

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie haben die Menschen so viele Waren im Internet wie nie zuvor bestellt. Gleichzeitig haben viele private Haushalte überflüssige Dinge entsorgt. Entsprechend überlastet waren manche Deponien zeitweise. Die zentrale Botschaft der Pandemie laut Gabi Schock, Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW): Wir müssen das Nachhaltigkeitsziel 12 der Agenda 2030 „Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen“ massiv vorantreiben!

In der europäischen Abfallwirtschaft findet aktuell ein großer Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft statt, der seit Beginn der Covid-19-Pandemie an Dynamik zunimmt. Das Europaparlament beschloss Anfang 2021 eine Abfallfreiheit bis 2050: Alle in Europa produzierten oder importierten Produkte müssten wiederverwendbar, reparierbar oder recyclingfähig sein.

Für eine Kreislaufwirtschaft braucht es unter anderem funktionierende Sammelsysteme, qualifizierte Arbeitskräfte etwa zum Reparieren technischer Geräte, mehr Verleihsysteme als Alternative zum Neukauf, Treffpunkte für die Bevölkerung zum Tauschen, Ausleihen, Reparieren und in der Wirtschaft die Nutzung von Abfällen von Unternehmen als Rohstoff für andere.

„Für das Gelingen einer Kreislaufwirtschaft auf lokaler Ebene sollten kommunale Politik und Verwaltung mit gutem Beispiel vorangehen. Zudem muss in der gesamten Gesellschaft ein Mentalitätswandel stattfinden.“
Gabi Schock, DGAW

3. Beispiele guter Praxis im Umgang mit der Covid-19-Pandemie

Die Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW), die brasilianische Stadt Belo Horizonte und das Landesbüro der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Kosovo stellvertretend für die beiden kosovarischen Kommunen Gjilan und Vushtrri präsentierten gelungene Ansätze für eine effiziente und nachhaltige Abfallwirtschaft während und nach der Pandemie:

3.1. Prognose von veränderten Abfallströmen (DGAW):

Zu Beginn des ersten pandemiebedingten Lockdowns in Deutschland im März 2020 prognostizierte die DGAW die zu erwartenden Abfallströme von Industrie, Gewerbe und privaten Haushalten, um Anhaltspunkte für die Auslastung der Müllanlagen in Deutschland zu gewinnen. Die DGAW sagte voraus, dass die Siedlungsabfälle stark steigen, weil die Menschen im Homeoffice seien, mehr zu Hause kochen und mehr Abfall zu Hause produzieren würden. Die Gewerbeabfälle würden parallel zum Bruttoinlandsprodukt deutlich zurückgehen. Ein Jahr später erstellte die DGAW ein Update ihrer Prognose und stellte fest, dass ihre Vorhersage recht gut war. Lediglich die wirtschaftliche Entwicklung hatte sie zu negativ eingeschätzt und damit auch die gewerblichen Abfallmengen zu niedrig angesetzt.

Ein Problem stellt auch ein Jahr nach dem ersten Lockdown der Abfall im öffentlichen Raum dar, da die Menschen nach wie vor viele Mahlzeiten und Getränke to go kaufen. Kommunale Entsorgungsunternehmen in Deutschland reagierten hierauf, indem sie größere Müllbehälter aufstellten oder die vorhandenen Behälter öfter leerten.

„Während des ersten Jahres der Pandemie blieben die Abfallmengen in Deutschland stabil. Allerdings gab es eine Verschiebung: weniger Gewerbeabfällen und dafür mehr Siedlungsabfälle.“
Isabelle Henkel, Geschäftsführerin DGAW

3.2. Effektive Hygienemaßnahmen (Stadtverwaltung Belo Horizonte, Brasilien)

In der brasilianischen Millionenstadt Belo Horizonte haben die Kommunalverwaltung, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Kooperativen, die im Abfallmanagement tätig sind, und individuelle Müllsammlerinnen und -sammler gemeinsam Covid-19-Hygienerichtlinien für die Sammlung und Sortierung von recyclefähigen Abfällen entwickelt. Die Menschen, die den Müll einsammeln oder sortieren, hielten sich so gut an die Vorgaben zum Tragen von Schutzausrüstung, zu Desinfektion und Abstandregeln, dass sich nur ein Prozent von ihnen während der Arbeit mit Covid-19 infizierte. Dazu trug auch bei, dass die Verwaltung Online-Trainings zu den Hygienevorschriften veranstaltete.

„Die in Kooperativen organisierten und individuellen Müllsammlerinnen und -sammler hatten bei der Impfkampagne hohe Priorität. 95 Prozent von ihnen sind vollständig geimpft.“
Bernardo SM Ribeiro, Amt für internationale Angelegenheiten, Stadtverwaltung Belo Horizonte

3.3. Krisenmanagement für kommunale Abfallunternehmen (Gjilan und Vushtrri, Kosovo):

Gjilan und Vushtrri waren die ersten Kommunen im Kosovo, die während der Pandemie Krisenstäbe einsetzten. Sie trugen dazu bei, dass trotz fehlender staatlicher Unterstützung und mangelnder digitaler Arbeitsprozesse die Abfuhr des Mülls weiter funktionierte. Zudem gelang es ihnen in direkter Kommunikation mit der Zentralregierung, dass Abfallunternehmen von der Zentralregierung finanzielle Hilfen während der Pandemie erhalten. Als eine der Lehren aus der Pandemie erarbeiteten die beiden Kommunen Pläne für zukünftige Krisensituationen.

„Regelmäßige Übungen und Simulationen von Krisensituationen könnten ein guter Ansatz sein, um sicherzustellen, dass zentrale Prozesse auch im Notfall funktionieren.“
Vjollca Behluli: GIZ-Landesbüro Kosovo

4. Peer-Beratung: neue Ideen für Herausforderungen in der Abfallwirtschaft

In drei kollegialen Beratungen diskutierten die Teilnehmenden mögliche Lösungen für die konkreten Herausforderungen jeweils einer Kommune. Die kollegiale Beratung ist eine der zentralen Methoden, die Connective Cities nutzt, um in einer Gruppe von kommunalen Praktikerinnen und Praktikern gemeinsam an den jeweiligen lokalen Kontext angepasste Lösungsideen zu entwickeln und zu diskutieren:

In der palästinensischen Kommune Al Maghazi entsorgt die Bevölkerung häufig den Müll nicht in den dafür vorgesehenen Behältern, sondern daneben. Um dies zu ändern, schlugen die Teilnehmenden unter anderem eine Social-Media-Kampagne, einen Müllsammel-Wettbewerb und das Aufstellen zusätzlicher Müllbehälter vor.

In Belo Horizonte arbeiten, verstärkt durch die Pandemie, sehr viele Müllsammlerinnen und -sammler unabhängig anstatt in einer Kooperative organisiert zu sein. Eine solche Mitgliedschaft würde ihnen aber viele Vorteile bieten, unter anderem eine soziale Absicherung. Um mehr Menschen dazu zu bewegen, sich einer Kooperative anzuschließen, sollte die Kommune die Vorteile einer Mitgliedschaft deutlich kommunizieren und die individuellen Müllsammlerinnen und -sammler stärker in das Abfallsystem einbinden. Zudem könnten sie auch die Möglichkeit haben, die wiederverwertbaren Abfälle an die Kooperativen zu verkaufen.

Schließlich erhielten die kosovarischen Kommunen Gjilan und Vushtrri den Tipp, gegen ihre chronische Knappheit finanzieller Mittel mehr Gewinne durch Recycling oder eine Kreislaufwirtschaft zu erwirtschaften, Zuschüsse zu beantragen oder eine Deponieabgabe einzuführen, wie es etwa in den Niederlanden praktiziert wird.

5. Ausblick: Abfallmanagement nach Covid-19

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Abfallwirtschaft weltweit ihre während der Pandemie gewonnenen Erkenntnisse nutzen sollte, um sich für die Zukunft besser aufzustellen. Dazu gehöre, langfristig eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren und neue Einnahmequellen etwa durch bessere Sortierung des Abfalls und Recycling zu generieren. Die Kommunikation mit den verschiedenen Gruppen des Sektors ist ein Erfolgsfaktor für Initiativen und eine Quelle der Resilienz. Diese Kommunikation muss geschlechtersensibel sein, wie die erfolgreiche Praxis von Belo Horizonte während der Pandemie gezeigt hat.

Die Teilnehmenden dieses Austauschs werden dazu ermutigt, mit den Partnern und mit Connective Cities in Kontakt zu bleiben sowie die diskutierten Themen zu Kooperationsprojekten weiterzuentwickeln. Die Städteplattform Connective Cities wird auch in Zukunft bedarfsorientierte Austausche zu relevanten Themen anbieten und ihr Netzwerk von kommunalen Expertinnen und Experten weiter ausbauen.


erstellt von:
Nikola Krause, Connective Cities


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