Öffentliche Gebäude aus den 1960er- und 1970er-Jahren prägen das Stadtbild vieler Städte weltweit. Heute entsprechen sie oft nicht mehr den technischen, energetischen und ästhetischen Ansprüchen des 21. Jahrhundert und werden meist abgerissen und durch neue Gebäude ersetzt. Sie bergen jedoch ein großes Potenzial, Emissionen im Bausektor zu reduzieren und so zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen. Durch ihre flexiblen Grundrisse können Gebäude aus den 1960er- und 1970er-Jahren – der als Moderne bezeichneten Zeit – an heutige Ansprüche angepasst werden – häufig mit zusätzlichen Vorteilen für Bürger*innen und Städte. Es ist daher an der Zeit, diese Gebäude zu erhalten und die in Beton und Stahl gebundene graue Energie auf sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Weise zu nutzen.
Diesem Paradigmenwechsel widmete sich die Dialogveranstaltung „2nd Hands on Public Buildings“ von Connective Cities in Kooperation mit der Senatsverwaltung Berlin vom 24. bis 27. September 2024. Etwa 30 kommunale Fachleute aus Deutschland, Kenia, Montenegro, den Palästinensischen Gebieten, Sambia und aus der Ukraine tauschten sich über Lösungsansätze und Herausforderungen für die nachhaltige Nachnutzung öffentlicher Gebäude aus den 1960er- und 1970er-Jahren aus und erarbeiten gemeinsam Projektideen.
Die Teilnehmenden widmeten sich unter anderem diesen Fragen: (1) Wie können Gebäude erhalten werden? Welche zukünftige (Zwischen-)Nutzung bietet sich an? (2) Wie können dabei Kriterien der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit berücksichtigt werden? (3) Welche innovativen Bauweisen eignen sich? (4) Wie lässt sich der Prozess hierfür am besten gestalten, welche Stakeholder müssen einbezogen werden und wie lassen sie sich für ein Projekt überzeugen?
Die anwesenden Stadtplaner*innen, Architekt*innen und anderen primär kommunalen Fachleute stellten sich gegenseitig gute Praxisbeispiele vor und entwickelten gemeinsam Projektideen, unter anderem zur Zwischennutzung eines leerstehenden Hotels im Zentrum von Nairobi.
Die Teilnehmenden besuchten das „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz in Berlin-Mitte. Der seit 2008 leerstehende 45.000 m² große Gebäudekomplex wird aktuell umgebaut, sodass dort Räume für Kunst, Kultur, Soziales, Bildung sowie für bezahlbaren Wohnraum und ein neues Rathaus entstehen.
Eine zweite Exkursion führte sie zum 2008 geschlossenen Flughafen Tempelhof. Das von 1936 bis 1941 errichtete – aber nie fertiggestellte – Flughafengebäude gilt als größtes Baudenkmal Europas und soll zu einem Experimentierort und zu einem neuen Stadtquartier für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft entwickelt werden.
Lars Löbner und Moritz Theloe von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen berichteten, dass in Berlin bis 2040 etwa 220.000 neue Wohneinheiten benötigt werden. Sie stellten den Berliner Stadtentwicklungsplan Bauen vor, mit dem dieses Ziel realisiert werden soll und der auch die Weiternutzung älterer Gebäude vorsieht. Dabei stehe die nachhaltige Schaffung von Wohnraum im Vordergrund, etwa im Hinblick auf Energienutzung, Mobilität und Effizienz. Zudem warfen sie einen Blick auf die Geschichte der Wiedernutzung und Anpassung öffentlicher Gebäude in Berlin seit dem 2. Weltkrieg.
Nevena Delibašić von der Design- und Planungsagentur der Stadt Nikšić in Montenegro präsentierte, wie der dortige Gebäudekomplex „Haus der Revolution“ weiterentwickelt wird. Der 1978 begonnene und architektonisch auffällige Bau wurde nie fertiggestellt, bis 2021 neue Ideen entwickelt wurden und in einem Teil der Bauruine bis September 2024 Studios für einen TV- und Radiosender gebaut wurden.
Die Teilnehmenden stellten zahlreiche Projekte vor und zeigten damit, wie unterschiedliche Ansätze zur Weiternutzung älterer Gebäude in Berlin, Bremen, Drohobytch (Ukraine), Greifswald, Hebron (Palästinensische Gebiete), Köln, Lusaka (Sambia), Nairobi (Kenia) und Regensburg angewandt werden.
In Bremen werden aktuell Machbarkeitsstudien erstellt, die verschiedene Optionen des Umbaus eines in der Innenstadt gelegenen Parkhauses aus den 1970er-Jahren unter anderem zu Wohnraum und Büroflächen analysieren. In Lusaka (Sambia) will die Stadtverwaltung alte Gemeindezentren vor dem Abriss retten und dort Zentren für frühkindliche Bildung etablieren.
Alle vorgestellten Projekte:
Die Weiter- oder Umnutzung von älteren Bestandsgebäuden zahlt sich unter ökologischen Gesichtspunkten aus, weil in den Gebäuden viel graue – oder bei der Veranstaltung positiver ausgedrückt „goldene“ – Energie gebunden ist. Diese Erkenntnis ist jedoch noch nicht weit genug verbreitet, weshalb positive Beispiele in die Fläche getragen werden müssen – wie etwa die Renovierung des Veranstaltungsorts der Dialogveranstaltung – der in den 1950er-Jahren errichtete Sitz der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen.
Die Umnutzung oder Umgestaltung von kommunalen Bestandsgebäuden kann nicht ohne die Beteiligung der Bevölkerung geschehen. Insbesondere zukünftige Nutzer*innen, die Nachbarschaft und die Zivilgesellschaft müssen in die Planungen einbezogen werden. Oft ist die Zivilgesellschaft wie beim Haus der Statistik in Berlin die treibende Kraft für die Nutzung der Gebäude als kreative Räume.
Aspekte wie die Wahrung des architektonischen Erbes, Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und die technischen Möglichkeiten für eine Umnutzung müssen Kommunen immer berücksichtigen. Für die Entscheidung, ob ein Gebäude abgerissen oder renoviert wird, wäre es für Kommunen hilfreich, ein Tool an der Hand zu haben, unter anderem um den Planungsprozess zu beschleunigen und Transparenz zu gewährleisten.
Die Umnutzung und Umgestaltung großer Gebäudekomplexe erfordern umfassende und zeitaufwändige Planungen und große Budgets. Daher kann es häufig sinnvoll sein, eine Zwischennutzung zu erwägen oder nur zunächst einzelne Teile eines Komplexes zu renovieren.
Die Dialogveranstaltung war der Auftakt einer Reihe von Aktivitäten zur Nutzung älterer öffentlicher Gebäude im Rahmen eines Connective-Cities-Lernprozesses. In den kommenden Monaten sind ein Online-Workshop sowie Delegationsreisen geplant.
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