Aktuelles

05.08.2021

Covid-19 und urbane Mobilität

Die Auswirkungen der Pandemie und die Zukunftsaussichten für die Zeit danach

Kurzbericht über die virtuelle Dialogveranstaltung, die Connective Cities zusammen mit United Cities and Local Governments (UCLG), UN-Habitat und der Stadt Wiesbaden vom 19. bis 22. Juli 2021 ausgerichtet hat.

1. Die Corona-Pandemie: Ein Wendepunkt in der städtischen Mobilität

Die Corona-Pandemie hat weltweit zu fundamentalen Veränderungen in der städtischen Mobilität geführt. Einige Auswirkungen der Pandemie sind kurzfristiger Natur, insbesondere solche, die während der Lockdowns festzustellen waren. Andere Auswirkungen dagegen werden die Art und Weise, in der wir uns künftig in der Stadt fortbewegen, langfristig verändern.

Eine der wichtigsten staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie bestand darin, die Mobilität der Menschen einzuschränken. Dabei mussten die Kommunen jedoch gewährleisten, dass Beschäftigte in systemrelevanten Berufen sowie dringend benötigte Waren an ihr Ziel gelangen. Gleichzeitig waren Verhaltensänderungen zu beobachten, denn die Bürgerinnen und Bürger stiegen auf Verkehrsmittel um, die sicherer und hygienischer sind. Dadurch gehen jetzt viele Menschen eher zu Fuß oder bewegen sich mit dem Fahrrad oder Auto fort, während der ööfentliche Personennahverkehr (ÖPNV) einen Rückgang der Fahrgastzahlen hinnehmen musste. Außerdem trugen die Kontaktbeschränkungen zum weiteren Aufschwung von Online-Handel und Lieferdiensten bei, wodurch besondere Herausforderungen auf der letzten Meile entstanden.

Das geringere Verkehrsaufkommen und der Rückgang der Abgasbelastung haben vielerorts die Bereitschaft der Menschen steigen lassen, auf nachhaltige Verkehrsmittel umzusteigen. Investitionen in die Infrastruktur für aktive Mobilität, einen sicheren und besser erreichbaren ÖPNV sowie Verkehrsmittel mit geringem Abgasausstoß sind das Gebot der Stunde, denn Investitionen setzen Wachstumsimpulse, fördern die Schaffung von Arbeitsplätzen und ziehen private Investitionen in vielen Zweigen der Volkswirtschaft nach sich.
 

2. Konzentration auf den ÖPNV, das Fahrrad und die städtische Logistik

Während der dreitägigen Veranstaltung diskutierten Akteure aus Kommunalverwaltungen, kommunalen Unternehmen, der Zivilgesellschaft sowie Wirtschaft und Wissenschaft aus über 15 Ländern darüber, wie sie die Zukunft der städtischen Mobilität gestalten können. Im Mittelpunkt standen dabei:

  1. Der ÖPNV: ÖPNV-Betreiber rund um den Globus sehen sich mit einem nie da gewesenen Rückgang der Fahrgastzahlen konfrontiert und müssen aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie deutliche Umsatzeinbußen hinnehmen. In vielen Kommunen gilt es, überkommene Finanzierungsmodelle zu überdenken und nach Möglichkeiten zu suchen, wie das Vertrauen der Fahrgäste und die Attraktivität des ÖPNVs wiederhergestellt werden können.
  2. Das Fahrrad: Die Pandemie hat überdeutlich gezeigt, dass die Städte und Kommunen fahrradfreundlicher werden müssen. Gleichzeitig bietet die Pandemie die Chance, über die Aufteilung von Räumen und Flächen und die Rolle des Fahrrads als städtisches Verkehrsmittel neu nachzudenken. Viele Kommunen fördern inzwischen das Fahrrad als Verkehrsträger.
  3. Eine nachhaltige städtische Logistik: Mit der Zunahme des Online-Handels und der innerstädtischen Zustellung von Lieferungen muss auch die urbane Logistik angepasst werden.

In ihrer Eröffnungsrede betonte Stefanie Holzwarth von UN-Habitat, dass „wir jetzt ein günstiges Zeitfenster haben, um aus der Pandemie zu lernen und unsere Mobilitätssysteme resilienter und krisenfester zu machen. Wir müssen aus dieser Krise gestärkt hervorgehen und bereit sein, etwas gegen den Klimawandel, die Luftverschmutzung und die hohe Zahl der Verkehrsopfer zu unternehmen, denn die Welt kann sich keinen weiteren Zeitverzug leisten!“ Sergio Arredondo vom lateinamerikanischen Verband der Städte, Kommunen und Kommunalverbände (FLACMA) sprach für UCLG und erinnerte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer daran, dass es nicht ausreicht, für einen funktionierenden Nahverkehr zu sorgen, vielmehr muss der ÖPNV sicherer und weniger riskant für die menschliche Gesundheit werden. Viele Städte der Welt erleben gerade einen regelrechten Fahrradboom, was sich in der künftigen Stadtplanung und Raumgestaltung niederschlagen muss. In ihrer Begrüßungsrede wies Bettina Gies von der Gastgeberstadt Wiesbaden darauf hin, dass der internationale Austausch über städtische Mobilität wichtig ist, denn zur Bewältigung der künftigen Herausforderungen auf diesem Gebiet bedarf es flexibler Lösungen und nicht-motorisierter Verkehrsträger.

Nachdem dreizehn Beispiele für erfolgreiche Maßnahmen in den Bereichen ÖPNV, Radverkehr und städtische Logistik vorgestellt worden waren, tauschten sich die Akteure aus Kommunen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft über die Herausforderungen auf diesen Gebieten aus, diskutierten in Peer-to-Peer-Formaten und entwickelten gemeinsame Lösungsansätze. Die diskutierten Herausforderungen reichten von der Verringerung des durch den Online-Handel verursachten Abfallaufkommens in der Stadt Taoyuan (Taiwan) über die Gewinnung der Bürgerinnen und Bürger für den Bau von Radwegen in Cuenca (Ecuador) und die Verkürzung der Fahrtzeiten im ÖPNV von Jerewan (Armenien) bis hin zur Verbesserung des Miteinanders der verschiedenen Straßennutzerinnen und -nutzer in Wiesbaden.

 

3. Präsentationen der Guten Praktiken

Working group A: Cycling bicycle traffic [pdf 7,1mb]

Working group B: Sustainable urban logistics [pdf, 2,3mb]

Working group C: Local Public Transport I [pdf, 2,3mb]

Working group D: Local Public Transport II [pdf, 1,2mb]


4. Die Zukunft gestalten

Während der Dialogveranstaltung haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam vier konkrete Projektideen entwickelt, die im Rahmen der Kooperation zwischen den Kommunen zu spezifischen Themen umgesetzt werden sollen.

Die brasilianische Stadt São Paulo will die Fahrgastzahlen im ÖPNV steigern. So sollen eine Werbekampagne zum Thema Hygiene sowie ein Aufklärungsprogramm für Kinder durchgeführt werden, um die Nutzung des ÖPNV zu fördern.

Die Herausforderungen im ÖPNV von Jerewan könnten mit einer App für das öffentliche Nahverkehrsnetz bewältigt werden, die eine multimodale Nutzung unterstützt. Als erste Maßnahme will die Stadt die Finanzierung sichern, eine Kunden- und Marktanalyse durchführen und auf die Erfahrungen anderer Städte zurückgreifen, die jüngst ähnliche Apps eingeführt haben. Dazu zählt beispielsweise Leipzig.

Die nepalesische Stadt Lalitpur und das Cycle City Network Nepal wiederum wollen Bike-Sharing als nachhaltiges Geschäftsmodell einführen und planen die Entwicklung einer Umsetzungsstrategie für den Großraum Lalitpur.

Die argentinische Hauptstadt Buenos Aires schließlich möchte in einem ihrer Quartiere den Liefer- und Zustellverkehr so gestalten, dass den Bedarfen der verschiedenen Nutzergruppen Rechnung getragen wird. Dazu sollen im Rahmen eines Pilotprojekts Mikro-Hubs für die Logistik auf der letzten Meile eingerichtet werden.

Connective Cities wird die Projektideen mit Folgemaßnahmen  wie weiterführenden virtuellen Fachaustausch, Workshops, Webinare oder Beratungsleistungen zur Mobilisierung von internen, externen oder Drittmitteln für die Projektfinanzierung unterstützen.
 

5. Wichtige Erkenntnisse der Dialogveranstaltung

  1. Der ÖPNV:
    1. Eine elektronische Fahrscheinlösung und die Einführung einer multimodalen App können dazu beitragen, Busse und Bahnen attraktiver zu machen.
    2. Busse können schneller fahren und damit den Wechsel vom Auto interessanter machen, wenn sie an den Haltestellen nicht in eine Haltebucht fahren müssen und bei Ampelschaltungen bevorzugt berücksichtigt werden.
    3. Um trotz der Pandemie Fahrgäste zurückzugewinnen, können die Betreiber von kommunalen Verkehrssystemen Werbekampagnen durchführen, in denen Hygiene und Sicherheit im Vordergrund stehen.
  2. Radverkehr:
    1. Neben dem (Aus)Bau von Fahrradwegen und -stellplätzen müssen die Kommunen ihre Bürgerinnen und Bürger stärker einbinden. Dabei gilt es, die tatsächlichen Bedarfe abzufragen, das Fahrrad als nachhaltiges, sicheres und schnelles Verkehrsmittel zu bewerben und potenziellen Widerspruch aufgrund des Verlusts an Parkflächen zu mindern.
    2. Die Einführung von Bike-Sharing-Systemen könnte mehr Menschen dazu bewegen, auf das Fahrrad umzusteigen.
    3. Um sich einen guten Überblick über den Radverkehr zu verschaffen, können die Kommunen mit Hochschulen zusammenarbeiten und gemeinsam Daten erheben oder die GPS-Daten von Radfahrern nutzen.
  3. Nachhaltige Stadtlogistik:
    1. Damit der Lieferverkehr auf der letzten Meile sicherer und nachhaltiger wird, könnten die Kommunen Mikro-Hubs einrichten, die nicht nur als Paketstationen dienen, sondern gleichzeitig eine soziale Funktion als Treffpunkt haben und ähnlich wie Cafés gestaltet sind. Gleichzeitig könnten die Kommunen Genehmigungen für Zusteller und Lieferdienste ausstellen, um damit Direktzustellungen zu regulieren. Außerdem kann die letzte Meile auch per Fahrrad erledigt werden, wodurch das Verkehrsaufkommen und die Abgasemissionen zurückgehen würden.
    2. Laden- und Geschäftsinhaber könnten eingebunden werden, um Lade- und Lieferzonen von unbefugt parkenden Fahrzeugen freizuhalten. Zur Unterstützung dieses Ziels können auch Sensoren und Videoüberwachungssysteme eingesetzt werden.
    3. Die Kommunalverbände können den Druck auf ihre Regional-/Zentralregierungen erhöhen, damit diese die gesetzlichen Voraussetzungen für die Überwachung von Lade- und Lieferzonen schaffen.
    4. Das Verpackungsaufkommen sollte minimiert werden. Außerdem empfiehlt sich die Einführung eines Pfandsystems, wie es in vielen Ländern bereits für Flaschen existiert, um dafür zu sorgen, dass ein höherer Anteil des Verpackungsmaterials recycelt wird. Unternehmen könnten für ein besonders nachhaltiges Verpackungsmanagement belohnt werden, während exzessive Verpackungen mit finanziellen Sanktionen belegt werden.
       
  4. Nachhaltige Mobilität im Allgemeinen:
    1. Damit die verschiedenen Straßennutzerinnen und -nutzer mehr Rücksicht aufeinander nehmen, könnten autofreie Wochenenden eingeführt werden, um das Fahrrad als Verkehrsmittel zu fördern und die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer für die Gefährdung von Radfahrerinnen und Radfahrern zu sensibilisieren.
    2. Eine Nullemissionskampagne, hohe Parkgebühren und autofreie Zonen können dazu beitragen, dass die Menschen ihr Auto eher stehen lassen oder es sogar aufgeben und auf den ÖPNV und das Fahrrad umsteigen.
    3. Kampagnen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und der gegenseitigen Rücksichtnahme und ein nachhaltiger Nahverkehr tragen dazu bei, den Verkehr sicherer und umweltfreundlicher zu gestalten.

6. Weitere Informationen: Detaillierte Veranstaltungsbericht

Nachhaltige urbane Mobilität & COVID-19
Peer-Learning-Note von UCLG in Kooperation mit Connective Cities und der Stadt Wiesbaden
 

2020 hat die internationale Städteplattform Connective Cities zusammen mit engagierten kommunalen Akteuren eine Reihe von Online-Veranstaltungen zu Themen mit Bezug zur Corona-Pandemie ausgerichtet. Die Dialogveranstaltung zur urbanen Mobilität war ein Event aus dieser Serie.

 

Impressionen: Grafik-Recordings zur kollegialen Beratung


erstellt von:
Connective Cities


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