Für die kolumbianische Stadt Manizales waren die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) im Jahr 2020 mehr als nur ein Zielkatalog für eine bessere Zukunft. Gerade hatte die Stadt ihren Stadtentwicklungsplan "Manizales + Grande" verabschiedet und die Verwaltung wollte nun die SDGs in die Gesellschaft tragen und sie im Alltag der Bevölkerung lebendig werden lassen. Die SDGs werden als globale Ziele in Kommunen weltweilt umgesetzt. Was lag da näher als sich mit engagierten Kommunen auszutauschen und sich gegenseitig Tipps und Anregungen zu geben?
Die virtuelle Dialogveranstaltung „Stärkung der lokalen Umsetzung der SDGs durch Berichterstattung und Monitoring“ im April 2021 – veranstaltet unter anderem von Connective Cities in Kooperation mit der Stadt Bonn – kam für Manizales gerade zur rechten Zeit. Knapp 60 kommunale Praktiker*innen aus 19 Ländern in Europa, Asien, Afrika sowie Nord- und Südamerika tauschten sich über ihre Ansätze und Erfahrungen zur Lokalisierung der SDGs aus – ein wichtiger Meilenstein für Manizales.
Voller Tatendrang waren die Vertreter*innen aus Manizales nach der Dialogveranstaltung und machten sich direkt an die Arbeit. Ihre Strategie „Manizales auf dem Weg zu den SDGs“ ist in vielen Teilen geprägt von dem Austausch mit den Kolleg*innen aus aller Welt. Sie enthält drei Säulen: die Veranstaltung von SDG-Tagen, die Durchführung von Bürger*innenlaboren und die Veröffentlichung eines lokalen Berichts zur Umsetzung der Agenda 2030 (Voluntary Local Review, VLR). Die SDG-Tage sollten der Kommunikation über die SDGs dienen, deren Umsetzung fördern und die Relevanz ihrer Lokalisierung vermitteln. Die Bürgerlabore waren ein Ansatz zur Einbindung unterschiedlicher Akteure und der VLR sollte das lokale SDG-Engagement sichtbar machen.
Das Markenzeichen der Strategie ist ihr breiter Fokus. Sie schließt die lokale Wirtschaft, Schulen, Wissenschaft und Forschung und Bürgerinitiativen ein. Weil deren Engagement nicht selbstverständlich ist, legt die Strategie fest, dass diese Akteure Anerkennung und Sichtbarkeit für ihre Aktivitäten erhalten. Die beteiligten Unternehmen wurden etwa in den Club der Agenda-2030-Unternehmen aufgenommen.
Eingebettet waren die Aktivitäten in das 2020 gegründete Public Innovation Lab der Stadt, eine städtische Plattform, mit der bis Ende 2022 viele Stakeholder ermutigt wurden, Lösungen für die Herausforderungen der Stadt zu finden. Die Plattform war gegliedert in die Bereiche Transparenz, Daten, Lokalisierung der Agenda 2030, Bürger*innendialoge, Nachhaltigkeitsforschung und evidenzbasiertes Management. Ein wichtiges Anliegen des Public Innovation Lab war, die Beziehungen zwischen der Kommunalverwaltung und der Bevölkerung zu verbessern und Vertrauen aufzubauen. Die Stadt war dafür bereit, mit neuen Ansätzen zu experimentieren, unter anderem mit Bürger*innendialogen.
Bei der Dialogveranstaltung von Connective Cities erfuhren die Vertreter*innen aus Manizales, dass die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg bereits einige Erfahrungen hierzu gesammelt hatte. Connective Cities ermöglichte in der Folge drei virtuelle Workshops zwischen der Hochschule sowie den Stadtverwaltungen von Bonn und Manizales, bei denen unter anderem ein Bürgerlabor vorgestellt wurde, bei dem Studierende der Hochschule mit der Hilfe von Bürger*innen eine Klimakarte der Stadt Sankt Augustin erstellt hatten. Mitarbeitende der Hochschule gaben Anregungen, wie in Manizales unterschiedliche Akteure aus Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft noch besser in die Umsetzung der SDGs und die Berichterstattung eingebunden werden könnten. Der Ansatz des Innovationslabors weckte wiederum bei der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg großes Interesse. Zusammen präsentierten Manizales und die Hochschule beim Forum Citizen Science die Aktivitäten des Innovationslabors.
Ein Schwerpunkt der virtuellen Dialogveranstaltung war die Berichterstattung über die Lokalisierung der Agenda 2030. Knapp 40 Städte weltweit hatten zu diesem Zeitpunkt bereits einen sogenannten „Voluntary Local Review“ bei den Vereinten Nationen vorgelegt, so auch die Stadt Bonn, Co-Gastgeberin der Veranstaltung. Manizales ließ sich von diesen Beispielen inspirieren und erkannte direkt die Vorteile eines solchen datengestützten Berichts als starkes Instrument für die SDG-Kommunikation, das den Fortschritt der Kommune bei der Umsetzung der SDGs gut sichtbar machen kann.
Manizales unterzeichnete schon zwei Monate später die New York Voluntary Local Review Declaration und schloss sich der internationalen VLR-Community an. Im Jahr 2022 veröffentliche die Stadt als erste kolumbianische Kommune ihren ersten VLR als zentralen Schritt auf dem Weg zur Realisierung der Vision „Manizales 2030 SDGs“. „Wichtig war uns dabei, die Meinung der Bevölkerung in den Bericht einfließen zu lassen“, sagt Oscar Andrés Jiménez, der damals bei der Stadt für die Lokalisierung der SDGs und für das Public Innovation Lab zuständig war. Ein Jahr später folgte bereits der zweite VLR. Er unterstrich, dass die Lokalisierung der SDGs eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei und auch die Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft, Forschung und Bildung betreffe, und stellte die Initiativen im Rahmen von „Manizales auf dem Weg zu den SDGs“ vor.
Auch die zweite von der Dialogveranstaltung mitgenommene Inspiration setzte die Stadtverwaltung von Manizales schnell um. Die Vertreter*innen der kolumbianischen Stadt waren begeistert von den Berichten über die Bonner SDG-Woche. Jedes Jahr im September steht die Stadt ganz im Zeichen der SDGs – eine Straße wird in SDG-Farben geschmückt, ein SDG-Glücksrad lädt zum Informieren ein und es gibt zahlreiche Veranstaltungen, Workshops, Spiele und auch ein SDG-Mittagessen.
Schon Mitte 2021 fand in Manizales eine SDG-Woche statt und wurde vom damaligen Bürgermeister feierlich eröffnet. Das Ziel war, die SDGs stärker im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Da Manizales eine Universitätsstadt ist, standen Studierende als besondere Zielgruppe im Fokus. Während der Woche kam ein traditionelles und nun auf die SDGs umgemünztes Kartenspiel zum Einsatz – eine Idee, die wiederum in Bonn auf großes Interesse stieß. Die Woche war keine rein städtische Veranstaltung. Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen trugen zum Gelingen bei.
Auch die zweiten SDG-Tage im Oktober 2022 waren ein großer Erfolg – mit SDG-Symbolen gut sichtbar im öffentlichen Raum, mit vier wissenschaftlichen Foren und vielen Aktionen erreichten sie etwa 4.000 Bürger*innen. Die Veranstaltung erhielt auch national und international viel mediale Aufmerksamkeit.
Nicht nur zu den Kolleg*innen in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis hielten die Vertreter*innen aus Manizales nach der Dialogveranstaltung Kontakt. Sie tauschten sich auch mit anderen lateinamerikanischen Städten wie Rosario und Mar del Plata in Argentinien, Rio de Janeiro in Brasilien, La Paz in Bolivien und Antigua in Guatemala aus. Im Juni 2022 trafen sie – aufgrund der Covid-19-Pandemie wieder nur virtuell – bei einem Panel des World Urban Forum ihre Partner aus Deutschland und anderen europäischen Städten wieder.
Aufgrund politischer Veränderungen ist die Lokalisierung der SDGs aktuell keine Priorität der Stadt Manizales; die Aktivitäten zur Agenda 2030 wurden 2024 vorerst eingestellt. Zukünftig kann die Stadt jedoch auf ein starkes Fundament für die Lokalisierung der SDG bauen. Pilotprojekte haben aufgezeigt, wie Bürger*innen zur erfolgreichen SDG-Implementierung beitragen können. Die Bevölkerung und viele zentrale Stakeholder wie Forschung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft wurden sensibilisiert und so wissen heute mehr Menschen als zuvor, wie wichtig die 17 SDGs sind – für die Bürger*innen, für die Stadt und für den gesamten Planeten. Das ist ein großer Gewinn.