Während der dreitägigen Dialogveranstaltung „Nachhaltiges und resilientes, regionales und interkommunales Landmanagement“ vom 18. bis 20. November 2020 war unter anderem die Projektidee entstanden, die Stadtverwaltung des Großraums Amman, Jordanien, bei der Erstellung eines Flächennutzungsplanungs einer noch weitgehend unbebauten Fläche im Nordosten Ammans zu unterstützen. Nachdem das Gebiet zwischenzeitlich genauer analysiert wurde, wurde nun am 10. November 2021 ein virtueller Fachaustausch zwischen jordanischen und deutschen Expertinnen und Experten initiiert.
Auf jordanischer Seite nahmen 17 Fachleute – Architekten, Stadtplanerinnen und GIS-Experten an der virtuellen Beratung teil; darunter die Leitungskräfte der lokalen Planungsabteilung, der Planungsabteilung der Großraumverwaltung von Amman, der Abteilung für Raumordnung und der Abteilung für städtische Studien. Auf deutscher Seite waren Gerhard Gross, ehemaliger Projektleiter im Fachbereich Stadtentwicklungsplanung im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München, und Rainer Müller-Jökel, Leiter des Stadtvermessungsamtes der Stadt Frankfurt am Main, hinzugeschaltet.
Anhand des Beispiels „Werksviertel“ aus München – der Umwandlung einer Industriebrache in ein Wohnviertel – stellte Gerhard Gross den Ablauf eines Planungsprozesses in Deutschland vor. Rechtliche Grundlage für die Planung ist das „Baugesetzbuch“, in dem u.a. die Bürgerbeteiligung, die Form städtebaulicher Verträge, die Umwidmung von Grundstücken sowie die Enteignung und Entschädigung geregelt ist. Darüber hinaus wendet die Landeshauptstadt München Planungsregeln an, die eine Beteiligung der Planungsbegünstigten, d.h. der Grundstückseigentümer, an den Kosten und Lasten der kommunalen Bauleitplanung vorsehen. Bereits zu Planungsbeginn schließt die Landeshauptstadt München einen Vertrag mit allen Grundstückseigentümern und Bauträgern ab, in dem die Beiträge zu den Kosten der Planung festgelegt werden. Eine öffentliche Ausschreibung an Architekturbüros zur Gestaltung der Fläche ist ein weiterer Schritt. Eine frühe Bürgerbeteiligung ist gesetzlich vorgeschrieben und sehr wichtig für die Akzeptanz. Sie erfolgt bspw. durch eine Ausstellung zu den Planungsentwürfen und kontinuierlich zu den weiteren Schritten der Bauplanung. Diese berücksichtigt die Grundprinzipien einer nachhaltigen Stadtentwicklung: „Kompakt - urban – grün“.
Rainer Müller-Jökel erläuterte in seinem Vortrag die Schritte der Landneuverteilung im Zuge der Bodenordnung bzw. „Umlegung“. Sie ist ein sehr effektiver, effizienter und wirtschaftlicher Weg für Stadtentwicklung und Stadtumbau. Durch die Umwidmung und Erschließung von Brachland in Bauland erfährt dieses Land einen immensen Wertzuwachs. Bei der Umlegung wird das Grundeigentum neu geordnet, so dass für die bauliche und sonstige Nutzung zweckmäßig gestaltete Grundstücke entstehen. Die Grundstückeigentümer erhalten prozentual, im Verhältnis zum bisherigen Grundstück, ein neues Stück Land auf der Fläche, abzgl. der benötigten öffentlichen Flächen für Straßen, Parks, Spielplätze und öffentlichen Einrichtungen. Grundlage für die Umlegung ist ein gesetzlich bindender Landnutzungsplan. Die Eigentümer erhalten so im Tausch ein zwar kleineres, in Wert und Lage aber mindestens gleichwertiges Stück Land. Die Stadt vermeidet so teure Landkäufe und langwierige Enteignungsverfahren, beteiligt die Eigentümer an den Kosten der Erschließung, die zudem kostengünstig „aus einem Guss“ möglich wird, bei Gleichbehandlung aller Beteiligten.
Die anschließende Diskussion drehte sich primär um die Frage, wie die Landbesitzer und die allgemeine Öffentlichkeit am besten informiert und vom Flächennutzungsplan überzeugt werden kann. Gerhard Gross erläuterte, dass dies zum einen immer von der jeweiligen lokalen und kulturellen Situation abhänge, zum anderen es jedoch wichtig sei, in mehreren Runden über einen längeren Zeitraum von bspw. zwei bis drei Jahren wiederholt Gesprächsräume anzubieten, in denen Sorgen geäußert, Fragen gestellt und Optionen diskutiert werden können – sei es bspw. über eine Ausstellung der über den Wettbewerb eingereichten Bebauungspläne, sei es in Bürgersprechstunden oder Internetforen.
„Die wahre Großzügigkeit der Zukunft gegenüber besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben.“
Albert Camus
Im zweiten Teil des Fachaustausches stellte Reham Bataineh, Leiterin der lokalen Planungsabteilung, die bisherigen Analysen zum Bebauungsgebiet Tareq B vor, in Hinblick auf:
Amman liegt auf einer Hügellandschaft. Ursprünglich auf sieben Hügeln erbaut, erstreckt sich die Metropolregion Amman mit ihren über vier Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern auf insgesamt 19 Hügeln mit Höhen zwischen ca. 725 – 1.100 Metern über dem Meeresspiegel. Auch das Gebiet B Tareq ist hügelig mit 820 Metern am niedrigsten und 885 Metern am höchsten Punkt und Steigungen zwischen 3,5% und 22%. Dies erschwert bzw. verteuert die Erschließung, u.a. im Straßenbau und bei der Wasserver- und -entsorgung.
Das Gebiet, das von der Form her an ein auf der Seite liegendes „T“ erinnert, ist an allen drei „Enden“ an Hauptstraßen angeschlossen und somit gut in die Gesamtregion eingebunden.
Die Nachbarviertel sind weitgehend mittelständisch geprägt. Viele der dort Lebenden sind erst vor kurzer Zeit aus anderen Stadt- oder Landesteilen dorthin gezogen – nicht selten junge Familien mit Kindern. Sie sind jedoch mit den Bildungseinrichtungen im Stadtviertel unzufrieden, aufgrund der hohen Schulgebühren, des Fehlens öffentlicher Gymnasien für Jungen und des Mangels an Kindergärten und erschwinglichen Grundschulen in fußläufiger Entfernung. Auch die Versorgung mit Krankenstationen ist unzureichend und die Jugendlichen klagen über fehlende Möglichkeiten der Freizeitgestaltung.
Das Baugebiet ist weitgehend in kleinparzelliertem Privatbesitz. Zudem wird das Land von den Eltern an die Kinder und Enkelkinder vererbt. Dadurch gibt es viele Eigentümer für ein und dasselbe Stück Land. Der Versuch, all diese Erben dazu zu bringen, sich auf etwas zu einigen, ist eine große Herausforderung. Das in neun Planungseinheiten aufgeteilte Gebiet gehört schätzungsweise 180 Eigentümern.
Das Budget der Stadtverwaltung für die Erschließung des Gebiets ist knapp, was den Prozess nicht vereinfacht. Rechtlich gesehen können 25% der Flächen der Verwaltung zur öffentlichen Nutzung zugewiesen werden. Darüber hinaus besteht ein Umlageverfahren für die Beteiligung der Eigentümer an den Erschließungs- und Infrastrukturkosten in Abhängigkeit von der Bebauungsdichte. Allerdings ist die Rechtslage hier für Ammans Stadtverwaltung unvorteilhaft, weshalb ein Einklagen der Gelder bei Gericht häufig nicht gelingt. Dadurch steht die Finanzierung eines neuen Flächennutzungsplanes auf tönernen Füßen.
In der weiteren Diskussion wurde die Erstellung einer kommunalen Verordnung und die Vertragsgestaltung mit den Landbesitzern als primäres Problem identifiziert, dass zuerst angegangen werden sollte, bevor sich die Fachleute den weiteren Herausforderungen durch die zersplitterte Eigentümerlandschaft und hügelige Topografie stellen.
Vereinbart wurde, im Vorfeld des nächsten virtuellen Fachaustausches Gesetzestexte und Baulandverordnungen zwischen Deutschland und Jordanien zu übersetzen und zu teilen und beim nächsten Treffen im Dezember 2021 Möglichkeiten einer Gesetzesverbesserung zu diskutieren.
Aus diesem Fachaustausch ist auch eine jordanischen Delegationsreise in Deutschland erwachsen, um den Erfahrungsaustausch für die Umsetzung der Projektideen zu intensivieren:
Ideen zur Nachahmung: nachhaltige Stadtentwicklungsplanung in Deutschland
2023 - Stationen einer Deutschlandreise des Stadtplanungs- und Baugenehmigungsamtes des Großraums Amman, Jordanien, im August 2022
2023 - Stationen einer Deutschlandreise des Stadtplanungs- und Baugenehmigungsamtes des Großraums Amman, Jordanien, im August 2022