Aktuelles

12.04.2024

Unterkünfte für Evakuierte und der Einsatz von Ehrenamtlichen

Der Lernprozess zum Katastrophenmanagement

Grafik: Florence Dailleux

Wenn deutsche Kommunen bei einem Extremereignis oder Katastrophenfall Teile der Bevölkerung evakuieren müssen, dann verfügen sie hierfür meist über standardisierte Pläne und die betroffenen Menschen können kurzfristig in Notunterkünften untergebracht werden. Was aber, wenn sie über Wochen oder Monate nicht in ihre Wohnungen oder Häuser zurückkehren können? Für solche Situationen fehlen vielerorts Konzepte. Die Stadt Köln fragte sich, wie andere Kommunen weltweit mit diesem Problem umgehen. Connective Cities griff diese Frage auf und organisierte einen einjährigen internationalen Lernprozess zum Katastrophenmanagement, bei dem die Unterbringung von Evakuierten, aber auch die Einbindung von ehrenamtlichen Helfenden im Mittelpunkt des Interesses standen.

Dialogveranstaltung: Notunterbringung evakuierter Menschen

Der Lernprozess startete mit der Dialogveranstaltung zur Evakuierung und Unterbringung evakuierter Personen vom 20. bis 22. März 2023 in Köln. Knapp 30 Fachleute aus Deutschland, Jordanien, Somalia, der Schweiz und den Philippinen tauschten sich darüber aus, wie sie die mittel- bis langfristige Unterbringung von evakuierten Menschen verbessern können. Bei einer Exkursion in den Kreis Ahrweiler erfuhren sie, wie 300 Geflüchtete während der „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015 in Bad Neuenahr-Ahrweiler untergebracht wurden und wie Opfer der Flutkatastrophe 2021 in einer Tiny-House-Siedlung in der Gemeinde Grafschaft vorübergehend unterkamen.

In den Diskussionen stellte etwa Liza Velle Ramoz von der philippinischen Stadt Makati ihr umfassendes Katastrophenmanagement inklusive – aus deutscher Sicht – beeindruckender Evakuierungszentren vor. Zudem stellten die Teilnehmenden fest, dass das Katastrophenmanagement weltweit – trotz unterschiedlicher Kontexte – dieselben Standards anwendet und die Akteure damit auch dieselbe Sprache sprechen. Es zeigte sich, dass das ehrenamtliche Engagement freiwilliger Helfender, das in Deutschland eine zentrale Säule von Feuerwehr und Katastrophenschutz darstellt, in anderen Ländern so nicht bekannt ist. Hier war das Interesse groß, von den Erfahrungen in Deutschland zu lernen.


Virtueller Austausch: organisierte Ehrenamtliche und Spontanhelfende

Diesem Bedarf kam Connective Cities nach und lud am 5. Juni 2023 zu einer virtuellen Veranstaltung zur Koordination organisierter Ehrenamtlicher und Spontanhelfender ein. Mitarbeitende der Feuerwehren aus Istanbul in der Türkei und Dortmund in Deutschland berichteten über das große Potenzial dieser Helfenden, um Katastrophenereignisse zu bewältigen. Zwar fehle unorganisierten Helfenden relevantes Fachwissen, aber sie würden sich umso mehr im Hinblick auf die Bedarfe der lokalen Bevölkerung auskennen und könnten – gut koordiniert – Aufgaben wie das Füllen von Sandsäcken bei Hochwasserereignissen effektiv übernehmen. Auch ihre Aktivitäten auf Social Media könnten helfen, Warnungen und Handlungsempfehlungen schnell zu verbreiten. Zentrale Voraussetzung dafür, dass sie tatsächlich zur Bewältigung eines Extremereignisses beitragen und nicht unbeabsichtigt den Einsatz des Katastrophenmanagements – bestehend aus Professionellen und organisierten Ehrenamtlichen – behindern, sei ihre Koordination. Auch die Aufklärung der Bevölkerung etwa mit Informationen und Übungen seien wichtige Komponenten.

 

 
Fachaustausch und Projektworkshop zwischen Deutschland und den Philippinen

Vom 16. bis 20. Oktober 2023 reisten drei kommunale Fachleute aus Bonn, Köln und Wuppertal zu einem Fachaustausch nach Makati und Quezon Citiy auf die Philippinen. Dieser war rundum eine Win-Win-Situation: Während die deutschen Gäste ihre Erfahrungen zum bürgerschaftlichen Engagement im Katastrophenmanagement und zur Förderung einer inklusiven Personalentwicklung bei den Feuerwehren teilten, präsentierten Vertretende des Disaster Risk Reduction and Management (DRRM) von Makati, wie sie Evakuierungen planen, was sie hierfür an Räumlichkeiten bereithalten und wie sie das Stadtgebiet per Video überwachen. Dieses umfassende Katastrophenmanagement sei notwendig, da das Land immer wieder von Erdbeben, Taifunen oder Tsunamis betroffen ist. Entsprechend intensiv klären die Kommunen die Bevölkerung auf und kommunizieren mit den Bürgerinnen und Bürgern zur Katastrophenvorsorge. Die Stadt Quezon evakuiert jährlich etwa 16.000 Menschen.

 

Abschluss-Event zur mittel- bis langfristigen Notunterbringung von Evakuierten

Der Lernprozess fand am 12. März 2024, knapp ein Jahr nach der Dialogveranstaltung in Köln, seinen Abschluss. Virtuell fassten die Teilnehmenden die Erfahrungen des vergangenen Jahres zusammen und berichteten von den angestoßenen Wirkungen. Aus Quezon City erfuhren sie, dass die Stadt basierend auf dem Lernprozess in Zukunft die Bedürfnisse von evakuierten Kindern stärker in den Blick nehme und plane, in Evakuierungszentren mehr sichere Räume für Mütter und Kinder sowie Lernmaterialien für Kinder vorzuhalten. Aus der jordanischen Stadt Jerash wurde berichtet, dass Kommunen dort auf einen integrierten Ansatz setzen und im Katastrophenmanagement eng zusammenarbeiten würden. Die Fäden liefen im zentralen System des Ministeriums für lokale Angelegenheiten zusammen und etwa im Fall von Sturzfluten würden die betroffenen Kommunen über das zentrale System informiert.

 


Zentrale Erfolge des Lernprozesses

  1. Die Feuerwehr Köln und das Katastrophenmanagement von Makati planen ein Memorandum of Understanding für einen gegenseitigen Personalaustausch, bei dem Lösungen für technische Probleme im Zentrum stehen sollen. Die Partner planen ein gemeinsames Projekt, für das sie aktuell Finanzierungsmöglichkeiten suchen.
  2.  Die philippinischen Städte Quezon und Makati planen, ihre Strategien für das Engagement freiwilliger Helfender neu aufzusetzen und deren Potenzial in Zukunft verstärkt zu nutzen.
  3.  Quezon wird seine Prioritäten bei der Notunterbringung von Evakuierten neu bewerten und beispielsweise mehr an den Bedürfnissen vulnerabler Gruppen wie Kindern, Frauen und Menschen mit Behinderungen ausrichten.
  4.  Die Teilnehmenden sehen im internationalen Austausch einen großen Mehrwert, möchten sich weiter austauschen und sich an entsprechenden Veranstaltungen beteiligen. Sie bieten dafür Interessierten Hospitationen an und teilen Strategien und Studien.

 
Erkenntnisse aus dem Lernprozess:

  1. Die internationalen Standards des Katastrophenmanagements werden in vielen Ländern – trotz ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen – ähnlich angewandt. So sprechen die Fachleute des Katastrophenmanagements weltweit dieselbe Sprache.
  2. Je nach Kontext ist das Katastrophenmanagement hoch technologisiert. Das ist aber nicht immer zwingend notwendig für seinen Erfolg. Wichtig ist vor allem eine effektive Kommunikation mit der Bevölkerung, etwa über die Hochwasserlinie.
  3. Im Katastrophenmanagement ist oft Kreativität gefragt. So beeindruckte die deutsche Delegation auf den Philippinen etwa die Nutzung urbaner Landwirtschaft für die Versorgung von Evakuierten.
  4. Damit sich die Bevölkerung in einer Notsituation gut selbst helfen kann, muss sie bereits im Rahmen der Katastrophenvorsorge aktiv angesprochen und zur Selbsthilfe befähigt werden.
  5. Die Anforderungen an Notunterkünfte sind je nach Kontext und Bedrohungslage sehr unterschiedlich.

Stimmen von Teilnehmenden am Lernprozess:

„Miteinander zu sprechen, ist gut. Miteinander zu handeln, ist besser. Die Situation des Katastrophenmanagements in Köln und Makati ist unterschiedlich. Trotzdem können die Städte viel voneinander lernen.“
Stefan Martini, Feuerwehr Köln

„In Makati haben wir begonnen, das Erlernte des vergangenen Jahres in unseren Strategien zu implementieren. Das hat eine größere Wirkung als lediglich Programme durchzuführen.“
Liza Velle Ramos, Katastrophenvorsorge und -management, Stadtverwaltung Makati, Philippinen

„Wenn wir nur zehn Prozent der Ideen, die wir aus den Philippinen mitgebracht haben, umsetzen, dann können wir unsere Stadtgesellschaft deutlich resilienter machen.“
Tim Luhmann, Feuerwehr Wuppertal


erstellt von:
Connective Cities


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