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14.01.2025

Aufbruch zu nachhaltigerem Bauen

Rückblick auf den Lernprozess zu klimagerechtem Bauen mit biobasierten und wiederverwerten Materialien

Fachleute diskutieren während der Dialogveranstaltung | Foto: Raquel Gómez Delgado

Der Bausektor muss grüner werden: Weltweit ist er für bis zu 40 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Zudem verbraucht die Bauindustrie viele Ressourcen, denn wertvolle Baustoffe werden kaum wiederverwertet. Doch geht es nicht nur um die Bauphase: Die Bauweise eines Gebäudes trägt entscheidend dazu bei, wie viel Energie während der gesamten Lebenszyklus des Gebäudes für das Heizen oder Kühlen aufgewendet werden muss.

Um dem Klimawandel zu begegnen und die Umwelt zu schützen, muss der Bausektor also dringend dekarbonisiert werden. Hierfür gibt viele innovative Möglichkeiten, zum Beispiel mit biobasierten Materialien wie Holz, Lehm und Ziegel oder durch die Wiederverwertung von verbauten Materialien.

Kommunen spielen eine zentrale Rolle dabei, den Bausektor nachhaltiger zu gestalten – im Rahmen eigener Bauvorhaben als Innovationstreiberinnen sowie bei der Gestaltung von baulichen Rahmenbedingungen und Bauvorschriften.

Im Rahmen eines einjährigen Lernprozesses von Connective Cities tauschten sich Vertreter*innen von Kommunen und Forschungseinrichtungen sowie Planer*innen und Architekt*innen über ihre Erfahrungen und ihr Wissen zum klimagerechten Bauen aus und inspirierten sich gegenseitig zu ihrer Arbeit.

Dialogveranstaltung: Was müssen und was können wir tun?

Der Lernprozess startete mit einer Dialogveranstaltung vom 13. bis 15. November 2023 in Potsdam, bei der die Teilnehmenden aus Bhutan, Indonesien, Nepal, Südafrika sowie aus Berlin, Heidelberg, Lörrach, München, Stuttgart und Potsdam berichteten und diskutierten, wie sie eine Transformation hin zu klimafreundlichem Bauen gestalten. In Heidelberg und München soll beim Bau neuer Stadtquartiere auf ehemaligen Militärgeländen möglichst viel vorhandenes Baumaterial wiederverwendet werden. Der Architekt Nyoman Popo Priyatna Danes erläuterte, wie beim Bau einer Hotelanlage auf Bali traditionelle und moderne Technologien kombiniert wurden. Wichtig sei gewesen, die Bevölkerung für die Fragilität der Landschaft und für ökologisches wirtschaftliches Handeln zu sensibilisieren.

Laut Dr. Susanne Winter vom World Wide Fund For Nature (WWF) Deutschland und Peter Heuer, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung von Potsdam, gelte es hinsichtlich des Bauens mit Holz, eine nachhaltige Balance zwischen dem Schutz und der Nutzung von Wäldern zu finden. Holz für die Bauindustrie müsse aus nachhaltig bewirtschaften Wäldern stammen. Prof. Dr. Jürgen Kropp vom Bauhaus Erde und dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) wies darauf hin, dass biobasierte Baumaterialen die gefährliche Aufheizung der Städte abmildern könnten und Holz entgegen manchen Meinungen ein stabiler und langlebiger Baustoff sei.

Der Dialog fand in Kooperation mit der Stadt Potsdam, dem Bauhaus Erde und dem PIK statt.

-> Gute Praktik I: Lörrach plant erstes Gewerbegebiet Deutschlands in Holzbauweise
-> Gute Praktik II: Banepa bewahrt traditionelle Bauweisen unter Verwendung biobasierten Materialien
 

Virtueller Austausch: Tradition, Fortschritt und eine möglichst solide Datengrundlage

Bei der ersten Folgeveranstaltung des Lernprozesses am 27. Februar 2024, einem virtuellen Fachaustausch, stellten Karma Wangchuk, Städteplaner aus Bhutan, und Matthias Schäpers, Senior-Projektleiter der Initiative Klimapositive Städte und Gemeinden bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), zwei Ansätze für klimapositives Bauen vor:

Das größtenteils im Himalaya gelegene Bhutan will seine Bauwirtschaft transformieren und setzt dabei auf Kreislaufwirtschaft und die Nutzung regenerativer und biobasierter Materialien. Die Idee ist, Synergien zwischen einer nachhaltigen Forstwirtschaft, einem robusten Bausektor mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Umwelt, gesunden städtischen Landschaften und einer grünen Wirtschaft mit hochwertigen Arbeitsplätzen zu schaffen. Holz soll dabei als traditioneller Baustoff eine zentrale Rolle spielen.

Eine CO2-Bilanzierung kann dazu beitragen, den Bausektor klimafreundlicher zu gestalten, berichtete Matthias Schäpers. Dabei werde der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes, dessen ökologische, wirtschaftliche und soziale Performance sowie die Ganzheitlichkeit eines Bauprojekts in den Blick genommen. Bei der Nachhaltigkeit von Quartieren gehe es nicht nur um CO2-Emissionen, sondern auch um Biodiversität, Resilienz, Gesundheit und Klimafolgenanpassung. Weil die CO2-Bilanzierung ein komplexes und aufwendiges Modell ist, kann sie in vielen Ländern nicht implementiert werden, auch weil dort die finanziellen und personellen Ressourcen für ein solch großes Unterfangen fehlen.

Ansätze aus Nepal in Deutschland nutzen

Bei einer Delegationsreise in Nepal im Oktober 2024 lernten Expert*innen der Städte Heidelberg und München und der Technischen Universität München verschiedene Ansätze der Restaurierung und Wiedernutzung historischer Gebäude kennen und diskutierten Möglichkeiten, stärker recycelte Materialien beim Neubau zu nutzen. In der Stadt Banepa erfuhren sie, wie viel nachhaltiger die traditionelle nepalesische Architektur ist als moderne Bauweisen. Dort werden Arbeitskräfte speziell ausgebildet, damit das Wissen über traditionelle Bautechniken nicht verloren geht. In der Stadtverwaltung werden aktuell Vorschriften für eine verstärkte Wiedernutzung von Baumaterial diskutiert und viel Wert auf die nachhaltige Beschaffung von Baustoffen wie Holz gelegt. Beim Besuch des Living Mountain Lab des International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD) zeigte sich, dass auch hybride Bauweisen etwa mit Stahl, Beton und Stampflehm möglich sind.

Ausblick: Wie geht es weiter?

Am 11. Dezember 2024 endete der Lernprozess mit einem virtuellen Austausch und dem Ausblick auf zukünftige Informations-, Austausch-, Kooperations- und Fördermöglichkeiten.

Die Internationale Bauausstellung 2027 in der Stadtregion Stuttgart wird sich in den nächsten Jahren weiterhin intensiv den Materialkreisläufen im Bausektor widmen. Ein digitaler Hub vereint alles, was man in der Stadtregion zum zirkulären Bauen benötigt: eine Plattform, auf der Materialen zur Nachnutzung angeboten werden, sowie eine Wissensplattform mit innovativen Ideen, Praxisbeispielen, Daten, einer Akteursübersicht und Bildungsmaterialien. Der „Urban Mining Scan“ der IBA’27 zeigt für fünf Bauprojekte in der Stadtregion Stuttgart die Materialflüsse auf und ein auf Künstlicher Intelligenz basierender Chatbot zu Fragen rund um Materialkreisläufe im Bausektor steht online zur Verfügung.

Die Connective Cities Community bietet eine Plattform zum Austausch etwa bei virtuellen Workshops und Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen und für unterschiedliche Weltregionen, zum Beispiel zum kostengünstigen Bauen von Wohnraum in Subsahara-Afrika. Auch die aktuellen Lernprozesse von Connective Cities etwa zur Eindämmung von Hitzeinseln in Städten oder zur Nachnutzung von öffentlichen Gebäuden aus den 1960er- und 1970er-Jahren bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte zum nachhaltigen Bauen.

Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) bei Engagement Global bietet Kommunen finanzielle Förderung und fachliche Unterstützung für Projekte kommunaler Partnerschaften an. Zu den Förderprogrammen gehören der niederschwellige Kleinprojektefonds und das Programm Nachhaltige Kommunalentwicklung durch Partnerschaftsprojekte (Nakopa).

 

Sieben Erkenntnisse aus dem Lernprozess:

  1. Eine Nachhaltigkeits-Wende im großen Bausektor herbeizuführen, ist nicht einfach, aber sie ist dringend notwendig und es gibt zahlreiche vielversprechende Ansatzpunkte.
  2. Biobasierte Rohstoffe wie Holz müssen in ausreichender Menge aus nachhaltigem Anbau verfügbar sein.
  3. Rechtliche sowie politische Vorgaben sollten nachhaltiges Bauen fördern und Bauvorschriften die Wiederverwertung von Materialien erleichtern.
  4. Gute Praxisbeispiele und innovative Ideen müssen verbreitet, alte Denkweisen aufgebrochen und die Bevölkerung von den Vorteilen eines nachhaltigeren Bauens überzeugt werden.
  5. In Pilotprojekten kann gezeigt werden, dass Baustoffe auf möglichst effiziente Weise wiederverwendet werden können.
  6. Materialkreisläufe müssen im Bauwesen weiter an Bedeutung gewinnen.
  7. Die für die Wiederverwertung von Baumaterialien unerlässliche Aufbereitung und Lagerung von Baumaterialien vor Ort ist unerlässlich und auch auf engem Raum möglich.

 

Stimmen von Teilnehmenden am Lernprozess:

„Hohe Lebensqualität und Klimaschutz sind beim Städtebau kein Widerspruch.“
Mike Schubert, Oberbürgermeister von Potsdam

„Aus Holz gebaute Gebäude haben sich als sehr langlebig und stabil erwiesen.“
Prof. Dr. Jürgen Kropp, Bauhaus Erde und PIK

„In Nepal haben wir noch eine Tradition des Holzbaus. Diese müssen wir erhalten und mit modernen Bauweisen verschmelzen.“
Rabindra Puri, RP Foundation, Nepal

„Es wird oft gesagt, wie schwierig es sei, auf einer Baustelle Material zur Wiederverwendung zu lagern. In Nepal gelingt dies schon immer – und das auf sehr kleinen Flächen in bergiger Landschaft.“
Moritz Bellers, Stadt Heidelberg

„Aktuell werden nur weniger als 10 Prozent des Potenzials zur Wiederverwertung von Baumaterialien genutzt.“
Stefanie Weaver, IBA’27 Stuttgart

„In Bhutan wollen wir den Bausektor an die Vision unseres Landes als zutiefst nachhaltige Gesellschaft anpassen.“
Karma Wangchuk, Städteplaner aus Bhutan


erstellt von:
Connective Cities


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