Wie können sozioökonomisch benachteiligte Stadtteile unterstützt werden, um zu lebenswerten Orten mit gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten für alle Bürger zu werden? Mit ihrem innovativen Pilotprojekt „Nachbarschaft Samtweberei“ in Krefeld zeigt die Bonner Montag Stiftung Urbane Räume, wie durch die Zusammenarbeit mit der Kommune eine sozial gerechte Stadtentwicklung funktionieren kann.
Am südwestlichen Rand der Krefelder Innenstadt liegt das sogenannte Samtweberviertel. Viele Menschen, die Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II beziehen, leben dort. Weit mehr als die Hälfte der Bewohner hat einen Migrationshintergrund. Der Bezirk weist einen hohen Bestand an historischer Bausubstanz aus – viele der Häuser befinden sich jedoch in einem schlechten Zustand, sind sanierungsbedürftig und teilweise unbewohnt. Das Viertel genießt stadtweit einen schlechten Ruf.
Das Zentrum des Viertels und Kern des Projekts der Bonner Montag Stiftung Urbane Räume (Programmbereich Initialkapital) und der Stadt Krefeld bildet der Gebäudekomplex einer ehemaligen Textilfabrik – die Alte Samtweberei. Das seit 2007 brachliegende Industrieareal misst 7.000 Quadratmeter, hier befinden sich zum Teil denkmalgeschützte Gebäude und Hallen.
Ziel des Projekts ist es, das bislang sozial und ökonomisch benachteiligte Samtweberviertel neu zu beleben und als Wohn- und Arbeitsort für Menschen unterschiedlicher Kulturen und sozialen Herkunft städtebaulich (wieder) attraktiv zu machen und sozial gerecht zu gestalten.
Ausgangspunkt des Projekts bildet die Instandsetzung der Alten Samtweberei – zum Wohnen, Arbeiten, kulturellen Austausch und für nachbarschaftliche Aktivitäten. Dabei geht es darum, ein breit gefächertes Angebot an Büroflächen und Wohnraum für unterschiedliche Nutzer und Einkommensgruppen auf der Grundlage differenzierter Mieten zu schaffen. So wird etwa ein Drittel der insgesamt rund 2.700 qm Wohnfläche als geförderter Wohnraum zur Verfügung stehen. Für frei finanzierte Wohnungen gilt jedoch auch der Grundsatz, nicht zum Kostentreiber zu werden. Um das Mietniveau günstig zu halten, wird beim Umbau unter anderem bewusst auf preistreibende bauliche oder technische Ausstattungsmerkmale verzichtet. Insgesamt wurden alle Mieten kostendeckend und rentierlich kalkuliert, um die Verzinsung und Tilgung des eingesetzten Stiftungskapitals und der Finanzierungsmittel zu gewährleisten.
Das Projekt setzt nicht nur für neue Bewohner und Gewerbetreibende positive Signale. Die Sanierung der Immobilie gilt darüber hinaus als Motor für die künftige Entwicklung des gesamten Stadtteils (Entwicklung der lokalen Wirtschaft, Ausbau von Bildungsangeboten, Instandsetzung und Aufwertung öffentlicher Flächen etc.). Dabei gehört die enge Zusammenarbeit mit den Bewohnern und den ansässigen sozialen, kulturellen, religiösen Einrichtungen vor Ort zum Selbstverständnis des Projekts.
Zentrale Idee ist, mit der aus der Vermietung der Wohn- und Büroflächen erzielten Rendite gemeinnützige Projekte und Initiativen zur Stärkung des Gemeinwesens zu unterstützen. Im Mittelpunkt steht dabei das Ziel, das Miteinander der unterschiedlichen Kulturen durch ein aktives gesellschaftliches Engagement der Bewohner zu fördern, einer weiteren sozialen Ausgrenzung der ansässigen Bevölkerung entgegenzuwirken, das Viertel insgesamt wiederaufzuwerten und ein höheres Niveau an Lebensqualität zu erreichen. Mittelfristig soll die finanzielle und soziale Investition dazu beitragen, das Samtweberviertel von Förderungen der öffentlichen Hand unabhängig zu machen.
Grundlage der Kooperation der beiden Projektpartner, Montag Stiftung Urbane Räume und Stadt Krefeld, bildet ein einstimmiger Ratsbeschluss aus dem Jahr 2014, der die Zusammenarbeit festschreibt und das Gelände der Alten Samtweberei im Erbbaurecht an die gegründete gemeinnützige Gesellschaft Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH (UNS) für 60 Jahre übertragen hat. Dem vorausgegangen waren die Erarbeitung eines gemeinsamen Handlungsprogramms sowie eine qualitative Befragung der vor Ort lebenden Bewohner zu ihrer Lebenssituation, ihren Bedürfnissen und zu ihren Ideen für Verbesserungen im Viertel.
Darüber hinaus haben Stadt und Stiftung ein gemeinsames Nutzungsprofil für die Alte Samtweberei auf den Weg gebracht. Dieses zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus. Geplant sind unter anderem Wohnbereiche für unterschiedliche Wohnprojekte (Mehrgenerationenhaus, Inklusives Wohnen etc.) sowie Gewerbebereiche in unterschiedlichen Größen für kleine Unternehmen aus verschiedenen Branchen.
Die Gesamtkosten für die Sanierung der Immobilie betragen rund 7,5 Millionen Euro. Davon entfallen rund eine Million Euro Mittel der Städtebauförderung für den Umbau der künftig öffentlich zugänglichen, 3.000 qm großen Shedhalle im Hof des Samtweberei-Areals. Für Projekte und Maßnahmen der Gemeinwesenarbeit stellt die Stiftung in den ersten Jahren ein Basisbudget von 60.000 Euro bis 80.000 Euro zur Verfügung. Geplant ist, die gemeinwohl-orientierten Projekte und die Unterstützung der Stadtteilarbeit ab 2018 vollständig aus dem Vermietungsgeschäft zu finanzieren. Ziel ist es, dass sich die Stiftung nach fünf bis sieben Jahren wieder zurückzieht und das gesamte Projekt – soziale Bewirtschaftung der dann sanierten Alten Samtweberei und gemeinnützige Entwicklung des Samtweberviertels – auf lokale Strukturen überträgt.
Die Stadt Krefeld ist in alle Prozesse fest eingebunden. Sie übernimmt unter anderem Maßnahmen zur Pflege und Unterhaltung öffentlicher Flächen und zur Revitalisierung des angrenzenden Viertels und unterstützt das Projekt bei Förderantragen. Daneben gibt es einen Lenkungskreis, der das Gesamtprojekt begleitet und mit Vertretern der Verwaltung, der Stiftung und der Projektgesellschaft besetzt ist.
Mit der Fertigstellung der ersten Bauabschnitte in dem Gebäudeteil des ehemaligen Verwaltungshauses der Alten Samtweberei (Pionierhaus) konnten inzwischen 25 Krefelder Kreativunternehmen ihre neuen Büros beziehen. Ab September 2015 werden weitere 630 Quadratmeter zur gewerblichen Nutzung zur Verfügung stehen. Für die 33 Wohnungen, die ab Anfang 2017 bezogen werden, gibt es bereits einen festen Stamm von über 20 Interessenten, die den Planungsprozess intensiv mitbegleiten.
Daneben sind bereits heute zahlreiche Projekte und Initiativen im Umfeld der Alten Samtweberei, das heißt im angrenzenden Samtweberviertel, an den Start gegangen. Viele Bewohner konnten gewonnen werden und beteiligen sich an unterschiedlichen Aktionen wie etwa der Verschönerung von Straßen und Plätzen durch Bepflanzungen. Ein Stadtteilradio und eine Stadtteilzeitung haben ebenfalls ihre Arbeit aufgenommen. Ein Café-Treff zum interkulturellen Austausch wurde ins Leben gerufen, gemeinsame Feste gefeiert und verschiedene Projektstammtische zu unterschiedlichen Themen rund um die Alte Samtweberei veranstaltet.
Mit dem Projekt Alte Samtweberei leisten die Montag Stiftung und die Stadt Krefeld einen innovativen und wirkungsvollen Beitrag zur integrierten Stadt(teil)entwicklung. Besonders nachhaltig wird es dadurch, dass die Erträge aus dem Vermietungsgeschäft der Immobilie unmittelbar in den Stadtteil zurückfließen – die ursprüngliche Investition erzielt so eine beträchtliche und stetige soziale Rendite. Als wichtig erwies sich das erklärte Ziel der Stiftung, von Beginn an alle relevanten Entscheidungsträger aus der Kommunalpolitik und Verwaltung in die Planung und Umsetzung einzubeziehen und die Stadt Krefeld als Partner zu gewinnen. An Glaubwürdigkeit und Unterstützung bei den Bewohnern gewinnt das Projekt dadurch, dass sie ebenfalls umfassend einbezogen werden. So gibt die Sanierung der Alten Samtweberei als Ausgangspunkt der Entwicklung des gesamten umliegenden Stadtteils ein weiteres Beispiel dafür, dass bürgerliches Engagement ein wesentlicher Faktor für soziale Gerechtigkeit, Vielfalt sowie ein insgesamt friedvolles Miteinander sein kann.
Oliver Brügge
Henry Beierlorzer
Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH
Lewerentzstraße 104
47798 Krefeld
T +49(0)2151/1528293
o.bruegge(at)montag-stiftungen.de
beierlorzer(at)samtweberei.de